Heiligabend, der Weihnachtsbaum duftet, alle haben sich lieb, Kerzen flackern friedlich, leise ertönt stimmungsvolle Musik, die Nachbarschaft ruht, Schneeflöckchen fallen sanft vom Himmel herab und dann fällt die Familie ein. Besinnlich vollgepackt rammelt ein Familienmitglied nach dem anderen durch die Tür und verkündet seine jeweiligen Befindlichkeiten: „Boa, ick muß ersma aufs Klo, ey!“ Wie üblich hat sich niemand an die alljährliche Geschenkerestriktion „Aber dieses Mal wirklich nur eins pro Nase!“ gehalten. Vaddern schleppt säckeweise Buntverpacktes weg, um es im Schlafzimmer bis zur Bescherung ordnungsgemäß zu schütteln und zu betasten.
Auch dieses Mal gibt es zum Mittag nur Suppe, also Borschtsch mit mannsgroßen Fleischstücken bis zum Abwinken. Danach erfolgt das gemeinsame Baumschmücken. Vaddern sägt noch eben die überstehenden zwei, drei Meter Spitze ab, damit das Monstrum, nennen wir es liebevoll „Ich dachte echt, der paßt.“, überhaupt ins Wohnzimmer geht, ohne die anderen beiden Etagen zu penetrieren. Nun werden Kerzen angebracht und Lichterketten. Soll ja nicht wie bei armen Leuten aussehen. Dann endlich: Auswahl der Schmuckfarbe. Man geht mit den aktuellen Trends und wählt alljährlich BUNT. Nachdem alle vorhandenen Kugeln, Bärchen, Schmetterlinge, Pfefferkuchenhäuser, Engel, Weihnachtsmänner und Vögel durch Zuruf („Da noch. Nee, DA. Wie wo? Na, DA! KUCK DOCH MAL!“) am Baum verteilt sind, darf Schwesterherz selbigen, das Wohnzimmer, den Hund und sich selbst mit Engelshaar und Lametta behängen. Jüngere Menschen in der Familie reißen derweil kichernd vorbeischliddernd erste Kugeln wieder runter.
Da bis zum Kaffeetrinken die Zeit lang ist, vertreibt man sich diese nun mit der Diskussion, wann denn endlich Bescherung sei und wieso. Vaddern und der Mann plädieren für nach dem Abendbrot, obwohl das natürlich vollkommener Blödsinn ist und die Bescherung SCHON IMMER nach dem Kaffee war und was denen eigentlich einfällt.
Inzwischen läuft zum 16. Mal Süßer die Glocken nie klingen in einer Interpretation der Dresdner Domspatzen mit traditionellem Sprung in der Platte. Die ersten geben entnervt auf und verlangen Sekt.
Endlich Kaffee. Endlich zündet mal einer den Baum und den mittlerweile reißigtrockenen Adventskranz an. Die Nachbarn schieben unauffällig Feuerlöscher durch die Gartenzaunlücke. Wenige Sekunden nach Auftragen von Heißgetränk und Stollen ist der von Oma Ilsebilse bestickte Tischläufer zum 40. Mal in den letzten 40 Jahren bekleckert und verkrümelt. Jetzt nur noch ganz schnell mit dem Hund raus und dann gibbet Geschenke. Nein, Papa, nicht erst nach dem Abendbrot, Ruhe jetze.
Man verteilt die während der Hundeabwesenheit unter dem Baum und daneben und auf dem Tisch und dort drüben und im Carport ausgebreiteten Aufmerksamkeiten gerecht unter den Anwesenden, d.h. ich bekomme die größten. Dann wird der Reihe nach ausgepackt; anfangen darf der, der am meisten rumquengelt. Am Ende häufen sich Berge bunten Papiers um den Betroffenen, der nunmehr Dinge an sich drückt und gollumesk vor sich hin murmelt.
Nach der Küsse-Danke-Runde erfolgt noch das leichte Abendessen aus Kartoffelsalat und Würstchen, also Bratwurst für die anderen, Bockwurst für mich, Brat- und Bockwurst für den Mann. Und ein- bis achtundsechzig Sidedishes. Man ist ja bescheiden.
Und während Vaddern noch das Küchenchaos beseitigen darf, wird das jüngste Mitglied des Clans bereits unter lautstarkem Protest ins Bett geschoben und Muddern mischt schon mal die Karten. Rommétime. Auslegen erst nach der ersten Runde, nein, Papa, noch nicht, erstes Auslegen mindestens 30 Punkte, Klopfen erst nach dem Auslegen, nein, Schatz, das ist nicht total dumm, und Rommé-Hand zählt doppelt, Ihr könnt schon mal zählen, guten Abend, krieg ich noch Sekt?
Dann hammwa die Bescherung
06 Dienstag Dez 2016
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